Kennzahlenbasiertes Vertriebs-Controlling Was macht eigentlich unser Vertrieb?

Udo Reichling
Armin Vogel
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Ein Direktvertrieb ist – mit Gesamtkosten von ca. 100k € p.a. pro Verkäufer – eine kostspielige Angelegenheit. Effektivität und Effizienz werden zur Notwendigkeit für den Unternehmenserfolg. Kennzahlenbasiertes Controlling im Vertrieb ist daher  nicht weniger wichtig als eine Top-Class-Fertigungssteuerung. In diesem Artikel werden pragmatische Ansätze und Erfolgsfaktoren für die Vertriebssteuerung dargestellt, inklusive erforderlicher Kennzahlen (KPI) und deren systematische Ermittlung.

 

Pragmatische Ansätze zur Vertriebssteuerung.

Ein moderner Betrieb darf nicht von der gelegentlichen Tüchtigkeit seines Vertreters abhängig sein, das Augenmerk muss gerichtet sein auf dauernde Erhöhung der Umsätze. Dafür bedarf es einer scharfen Kontrolle über die Vermittler des Warenabsatzes, die Vertreter. (Max Foerster, Der Kolonialwaren-, Lebensmittel- und Feinkosthandel, Nordhausen o. J. ca. 1925)

 

  1. Wozu Vertriebssteuerung?

Ein Direktvertrieb ist – mit Gesamtkosten von ca. 100k € pro Verkäufer – eine kostspielige Angelegenheit. Zu der Frage, wie diese teure Ressource gesteuert wird, gibt es indes im Gegensatz zu anderen Unternehmensbereichen kaum Literatur. Dabei ist kennzahlenbasiertes Controlling im Vertrieb für den Unternehmenserfolg nicht weniger wichtig als eine Top-Class-Fertigungssteuerung: „You can’t manage what you don’t measure“ (Peter F. Drucker). Das Erreichen von Umsatz-, Ertrags- und Liquiditätszielen des Unternehmens hängt maßgeblich auch von der Qualität der Vertriebssteuerung ab. Vertriebssteuerung dient dazu, die Verkäufer zu einem Verhalten zu bewegen, das zur Erreichung der Unternehmensziele beiträgt. Sie bedient sich dabei dreier Hebel:

  • Ex ante: Selbststeuerung, indem sie über die Auswahl der Kennzahlen den Mitarbeitern signalisiert, was von ihnen erwartet wird. Was gemessen wird, ist wichtig.
  • Direkt im Kundengespräch: CRM- und SAP-basierte Steuerung über PC/Tablet mit Hilfe von standardisierten Gesprächsleitfäden, Kalkulationstools, Produkt- oder Preisvorschlägen: „Management by pop up“ („Haben Sie den Kunden nach Zubehör gefragt?“, „Dieser Artikel ist nicht lieferbar“)
  • Ex post: Ansätze für ein (möglichst frühes) Eingreifen des Managements, wenn Abweichungen von den angestrebten Zielen sichtbar werden.

THERON hat im Rahmen einer Vielzahl von Beratungsprojekten eine Reihe von praktischen Anregungen und Erfahrungen gesammelt, die wir in diesem Beitrag kurz darstellen. Unsere Ausführungen beziehen sich dabei vor allem auf einen Direktvertrieb, sind aber auch auf andere Vertriebskanäle (Handelsvertreter, Distributoren, Importeure) übertragbar.

 

Abbildung 1

 

  1. Aus welchen Elementen besteht eine Vertriebssteuerung?

Letztlich geht es bei der Steuerung des Vertriebes immer darum, den Gewinn zu steigern. Dennoch umfassen die Inhalte neben reinen GuV-Parametern auch Variablen, die sich auf die Steuerung der Aktivitäten des Vertriebes richten. Die Steuerungsgrößen fallen damit in mehrere Kategorien, die bei Bedarf nach Produkt, Kundengruppe, Region, Vertriebskanal aufgeteilt werden müssen:

2.1 GuV-Größen

Reine Vertriebskennzahlen, die sich direkt aus der GuV ableiten lassen:

  • Absatz
  • Umsatz
  • Marge/Deckungsbeitrag
  • Durchschnittlicher Rabatt
  • Produktmix
  • Zahlungsbedingungen

2.2 Vertriebs-Erfolgskennzahlen

Kennzahlen, die direkt dazu beitragen, die GuV-Ziele zu erreichen, und die aus dem ERP-System verfügbar sind:

  • Kundenspezifische Ziele, z.B. je Key Account
  • Auftragseingang
  • Book to bill (Auftragseingang/Umsatz, d.h. wächst oder schrumpft der Auftragsbestand)
  • Umsatzentwicklung Bestandskunden (wachsend, stagnierend, schrumpfend)
  • Wiederkaufrate
  • Anzahl kaufende Kunden
  • Neukunden

Da immer mehr Unternehmen mittlerweile ihre Kunden über eine Vielzahl von Kommunikations- und Vertriebskanälen erreichen, muss auch die Effektivität dieser verschiedenen Kanäle gemessen werden:

  • Bestellwege (Kleinaufträge über Internet, Großaufträge über Direktvertrieb)
  • Welcher Kunde nutzt welche Kanäle
  • Preisverhalten
  • Benchmarking zwischen verschiedenen Kanälen

2.3 Vertriebs-Aktivitätskennzahlen

Aktivitäten, die den Vertrieb effektiver machen, und damit indirekt dazu beitragen, die GuV- Ziele zu erreichen:

  • Anzahl Kundenbesuche bei A-, B-, C-Kunden (setzt Vorhandensein einer Klassifizierung voraus)
  • Anzahl Angebote
  • Anzahl platzierte Prototypen/Testlieferungen/Promotions
  • Sales funnel (auch „Verkaufstrichter“, Schaubild 2), d.h. wie viele Kontakte für eine Anfrage, wie viele Anfragen für einen Auftrag. Dient nicht nur zur Beurteilung der vertrieblichen Effizienz, sondern als Frühindikator für den Auftragseingang
  • Cross selling rate – Anzahl verschiedener Produkte/Kunde

Bei den Vertriebs-Aktivitätskennzahlen gilt der alte Grundsatz „viel hilft viel“ nicht. Gerade die besten Verkäufer zeichnen sich häufig durch weniger, aber zielgerichtete Aktivitäten aus. Weniger, aber sorgfältig ausgewählte und gut vorbereitete Besuche führen bei einem immer professionelleren Einkauf auf der Kundenseite eher zum Erfolg (Schaubild 3).

2.4 Sonstige Kennzahlen

Aktivitäten oder Kenngrößen, die nicht unmittelbar zu einem Abschluss beitragen, aber dennoch sinnvoll sind, da sie mittelbar positiv mit dem Verkaufserfolg korrelieren (Produkttraining => bessere Produktkenntnis => höhere Abschlussquote => mehr Umsatz).

  • Teilnahme an Fortbildungen
  • Sammeln von Kundeninformationen
  • Aussagefähige Besuchsberichte

Man kann einwenden, dass alle diese Aktivitäten zum Erreichen der eigentlichen, quantitativen Ziele beitragen, und daher keiner besonderen Steuerung bedürfen. Die Praxis hat jedoch gezeigt, dass es sinnvoll sein kann, Mitarbeiter durch zusätzliche Anreize in die richtige Richtung zu lenken (Nudging), um eingefahrene Verhaltensmuster aufzubrechen oder fehlende Erfahrung auszugleichen.

 

Abbildung 2

 

Abbildung 3

 

  1. Wie bestimmt man zu diesen Kennzahlen die Sollwerte?

Für jede als sinnvoll erachtete Kennzahl muss ein Sollwert vorgegeben werden. Diese Sollwerte leiten sich aus der Unternehmensstrategie bzw. dem Budget ab, d. h. die Summe aller Einzelvorgaben sollte dazu führen, dass die Unternehmensziele – Wachstum, Marge, Produktmix, Einführung neuer Produkte – erreicht werden. Bei der Festlegung der Sollwerte für den Vertrieb sollten die Parameter sich aus dem erwünschten Verhalten des Verkäufers ableiten, das seinerseits von der Strategie bestimmt wird.

 

Abbildung 4

 

3.1 Zielvorgaben am Marktpotential ausrichten

Der Umsatz in einer bestimmten Region ist hinsichtlich der Leistung des Verkäufers nur vergleich- und beurteilbar, wenn er in Relation zum erreichbaren Marktpotential gesetzt wird. Der höhere Umsatz eines Verkäufers in Baden-Württemberg gegenüber seinem Kollegen mit dem Vertriebsgebiet Mecklenburg-Vorpommern ist nicht notwendigerweise besser, wenn man berücksichtigt, dass die Kaufkraft pro Kopf im Südwesten doppelt so hoch ist wie im Nordosten. Zu „fette“ Gebiete führen tendenziell zu einer geringeren Ausschöpfung, selbst wenn der höhere Umsatz eine bessere Leistung suggeriert.

Abbildung 5

 

3.2 Differenzieren, differenzieren, differenzieren

Nicht alle Kunden sind gleich wichtig. Um den maximalen Ertrag aus den Aufwendungen für einen Vertrieb zu ziehen, ist es daher erforderlich, die knappe Kapazität auf diejenigen Kunden zu konzentrieren, die entsprechend der unternehmensspezifischen Segmentierung das meiste Potential besitzen (Schaubild 6).

3.3 Überbuchen, um Zielerreichung sicherzustellen

Bei denjenigen Parametern, die sich direkt aus der GuV ableiten, sollte bei der Festlegung der Sollwerte berücksichtigt werden, dass nicht immer alle Vorgaben zu 100 % erfüllt werden. Um dennoch ein Erreichen der Budgetvorgaben sicherzustellen, sollte die Summe der Einzelziele höher sein als das Gesamtziel, d. h. alle individuellen Ziele sollten sich nicht auf 100 %, sondern auf 110 % addieren, ein Verfahren, das im Tourismus als „Überbuchen“ bekannt ist.

 

Abbildung 6

 

3.4 Nur beeinflussbare Größen vorgeben

Individuelle Vorgaben müssen auch individuell erreichbar sein, d. h. Zielgrößen, die vom einzelnen Verkäufer kaum oder gar nicht beeinflusst werden können, z. B. EBITDA, entfalten keine verhaltenssteuernde Wirkung.

 

  1. Wo bekommt man die Istwerte her?

Wo immer möglich, sollten objektivierbare Zahlen aus dem ERP/CRM-System verwendet werden. Qualitative Einschätzungen wie „Initiative“ bringen niemanden weiter und sind schwer vergleichbar.

Alle verbreiteten ERP-Systeme bieten mittlerweile mehr als ausreichende Auswertungsmöglichkeiten, um die in Abschnitt 3 genannten Daten automatisch zu erzeugen, daher soll auf die technischen Aspekte der Auswertung hier nicht eingegangen werden. Dies setzt jedoch voraus, dass das System auch genutzt wird: Angebote in Word statt in SAP, Besuchsberichte auf losen Blättern, fehlende Kundendaten, nicht sprechende oder ganz fehlende Artikelnummern zählen hier zu den häufigsten Sünden.

 

  1. Jetzt wissen wir das alles – und nun?

Der Begriff Vertriebssteuerung deutet schon darauf hin, dass die Zielsetzung nicht in erster Linie die Analyse, sondern die Beeinflussung des Verhaltens der Verkäufer ist. Um dieses Ziel zu erreichen, gibt es jedoch neben dem reinen Controlling weitere Erfolgsfaktoren, damit die erwarteten Ergebnisse auch eintreten.

5.1 Management

Die Steuerung eines Vertriebes ist aufwendig: Ziele müssen entwickelt, kommuniziert, vereinbart und in monatlichen Intervallen nachgehalten werden. Maßnahmen zur Behebung erkannter Defizite (Besuchsplanung, Abschlussquote, Preisdurchsetzung, Neukundengewinnung etc.) müssen entwickelt und unterstützt werden. Ein gutes Vertriebssteuerungs-System führt daher in der Regel nicht zu weniger, sondern zu mehr Managementaufwand. Dies gilt umso mehr, wenn Veränderungen durchgesetzt werden sollen (neues Preissystem, mehr Neukunden, anderer Mix). Dafür müssen entsprechende Kapazitäten vorhanden sein – ein Vertrieb mit einer Kontrollspanne von 18 ist nicht wirklich steuerbar.

5.2 Management „per iPad“

Die Digitalisierung ermöglicht heute – neben einer deutlichen Verbesserung der vertrieblichen Effizienz (Aufträge online übermitteln, Verfügbarkeit in Echtzeit prüfen, Kundendaten im Gespräch aktualisieren, Besuchsberichte sofort absetzen) – eine unmittelbare Steuerung des vertrieblichen Verhaltens, die früher nur durch Mitfahrten des Managements möglich war:

  • Vorgabe von Gesprächsleitfäden, um z. B. Bedarfsanalyse (statt „hit and run“) zu erzwingen,
  • Hinweise auf komplementäre Produkte („Kunden, die dieses Atomkraftwerk gekauft haben, kauften auch Brennstäbe“, „Haben Sie dem Kunden einen Wartungsvertrag angeboten?“),
  • Preisverhalten, z. B. Hinweise auf Mindestpreise oder Preise, ab denen die volle Provision gezahlt wird.

Diese Verhaltensweisen müssen natürlich immer noch kommuniziert, geschult und überwacht werden, die Technik kann indes dazu dienen, den Management-Aufwand zu reduzieren.

5.3 Incentives

Auch das beste Management kann eine Feinsteuerung des Verhaltens der Verkäufer nicht mit vertretbarem Aufwand leisten. Die Vertriebssteuerung muss daher zu einem erheblichen Maß durch den einzelnen Vertriebsmitarbeiter auch heute aus Eigeninteresse selbst erfolgen. „Top-Verkäufer unterscheiden sich von anderen Verkäufern vor allem darin, dass sie einen starken ökonomischen Antrieb haben. […] Sie sind also besonders interessiert an Geld, finanzieller Freiheit, Incentives und der daraus resultierenden Anerkennung.“[1] Eine Verzahnung des Kennzahlensystems mit dem Anreizsystem ist daher entscheidend. Das „erwünschte Verhalten“ (siehe voriger Abschnitt) zu erzielen, sollte vorwiegend über Anreize erfolgen und nicht (nur) durch Druck des Managements. Dies ist auch dort möglich, wo eine individuelle Abschlussprovision wegen z. B. langer Entscheidungsprozesse im Anlagenbau keinen Sinn macht.

  1. Praktische Hinweise

Bei der Umsetzung von Systemen zur Vertriebssteuerung gibt aus unserer Erfahrung eine Reihe von weiteren Erfolgsfaktoren.

  • Weniger Reporting ist mehr. Wenn wir in den vorherigen Kapiteln eine Vielzahl von Kenngrößen vorgestellt haben, dann nicht, um die Einführung aller dieser Punkte gleichzeitig zu empfehlen. Eher im Gegenteil – ein Reporting mit 100 Seiten wird keinerlei Wirkung entfalten. Die Konzentration auf wenige Parameter hat eine höhere Chance, Verhalten zu beeinflussen als jeder Zahlenfriedhof.
  • Verkaufen statt „Listen ausfüllen“. Bei allem berechtigten Interesse des Managements sollten diejenigen Parameter, die einen manuellen Input der Verkäufer erfordern, auf ein Minimum reduziert werden.
  • Kommunikation. Mitarbeiter wollen wissen, wo sie im Vergleich mit ihren Kollegen stehen. Dies gilt für Verkäufer in besonderem Maße. Auch wenn die früher so beliebten „Rennlisten“ mittlerweile in Verruf geraten sind, so kann eine Einordnung innerhalb einer Vergleichsgruppe („12. von 20 beim AE“) oder gegenüber dem Durchschnitt („DB von 20 % gegenüber 17 % Region gesamt“) motivierend wirken.

 

  1. Fazit

Vertriebssteuerung ist mehr als nur Kennzahlen. Sie ist eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für Vertriebserfolg. Bei fehlendem Kundennutzen, zu geringen Managementkapazitäten, dem Unwillen der Vertriebsführung, „in die Zweikämpfe zu gehen“ oder Fixgehältern für alle wird auch ein ausgefeiltes Vertriebs-Steuerungssystem seine Wirkung verfehlen.

 

 

[1] Frank M. Scheelen, Serie Vertriebserfolg, Vertriebszeitung, 5.12.2012



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