Digitalisierung SARS-CoV-2 digitalisiert uns mit Gewalt

Frank Olschewski
(C) Chris @ www.Reshot.com

Entscheidungen, die in der SARS-CoV-2-Pandemie getroffen werden, prägen die Welt auf Jahre hinaus. Krisen spulen historische Prozesse vor. Sie verändern die Gesellschaft, den Markt und die Innenwelt von Unternehmen. Die Zukunft wird anders, die Digitalisierung wird schneller und umfassender Einzug halten. Wir alle werden vernetzter leben. Es ist höchste Zeit, sich vorzubereiten. Lesen Sie hier, wie Sie Ihr Unternehmen sicher und erfolgreich durch diese Zeit der Turbo-Digitalisierung führen.

Mehr als drei Milliarden Menschen sind weltweit von Ausgangsbeschränkungen betroffen. Social Distancing fühlt sich wie eine Vollbremsung des Lebens an. Straßengeräusche sind einer gespenstischen Ruhe gewichen. Es sind Eindrücke wie aus den Dystopien eines Philip K. Dick. Das Schlimmste könnte noch kommen.

Evolutionärer Druck und Nachfragewandel

Es fehlen im Moment sowohl die Mittel, um in die Infektionswelle steuernd einzugreifen (Impfstoffe), als auch die Ressourcen zur intensiv-medizinischen Behandlung der Lungenkrankheit COVID-19 bei einer unkontrollierten Durchseuchung. Die politischen Führungen müssen das Leben der Bevölkerung schützen. Das ist ein Gebot der Menschenwürde. Um Zeit zu gewinnen ist der wirtschaftliche Shut-Down unvermeidlich.

Wir alle müssen uns darauf vorbereiten, dass das Virus wahrscheinlich nicht auszurotten ist. Der Krankheitserreger wird dann unser Leben und unsere Geschäftstätigkeit dauerhaft saisonal begleiten, vielleicht irgendwann nur noch mit den geringen Implikationen einer Grippe. Aber so lange es keinen Impfstoff gibt, benötigt es ein schrittweises, begrenztes, nach gesundheitlichen Risiken, Branchen und Regionen geordnetes „Hochfahren“. Eine Rückkehr zu einem Leben wie es 2019 war, ist nach der SARS-CoV-2-Krise unwahrscheinlich. Ein Teil der Maßnahmen wird irgendwann zurückgenommen werden, aber ein Teil wird bleiben.

Die aktuellen Maßnahmen, insbesondere die Kontaktbeschränkungen, erzeugen einen Nachfragerückgang, der bei vielen Unternehmen zur Liquiditätskrise wird. Zusätzlich lernen wir nach Jahren der Effizienzsteigerung, in denen argumentiert wurde, dass die globale Distanz in den Lieferketten nicht wichtig sei, was Distanz wirklich bedeutet. Viele angebotsseitige Probleme treten auf. Störungen in den internationalen Lieferketten gehören genauso dazu wie Kontrollverluste aufgrund ungeeigneter Führung bei Verlagerung von Mitarbeitern ins Home Office.

Ein so massiver gleichzeitiger Nachfrage- und Angebotseinbruch und das „Fahren auf virologische Sicht“ sind neue Erfahrungen. Es ist zu befürchten, dass in dieser Krise alle wirtschaftlichen Schwachstellen sichtbar werden. Gehen Sie davon aus, dass sich Ihre bereits vor der Krise sichtbaren Probleme verschärfen werden. Etablierte Best Practice-Ansätze werden wertlos, während die Krise neue Chancen generiert. Es ist eine Krise der Unsicherheit. Solche Krisen verrücken Maßstäbe der Urteilsbildung.

Wege durch die Krise

Liquiditätssicherung und Steuerung auf Sicht sind kurzfristig unvermeidlich. Ein reines durch Finanzplan und Kostenmanagement getriebenes Vorgehen verstellt aber den Blick auf die Chancen. Führungsteams müssen den ergebnisrelevanten Möglichkeitsraum kartieren, um durch unternehmerische Maßnahmen in einer veränderten Welt wieder handlungsfähig zu werden.

Dies ist nicht einfach, denn keiner weiß, wie das neue „Normal“ aussehen wird und über welchen Stufen wir es erreichen. Viele Faktoren können zur Veränderung Ihres Geschäftes beitragen. Es ist offen, wie sich die Wohlstandsverluste verteilen, ob sich der Systemwettbewerb zwischen China und den USA weiter verschärft oder ob Großflughäfen wieder eine Zukunft haben. Es gibt aber nicht nur Negatives, sondern auch viele Chancen: Wie nach den Anschlägen vom 11. September das Thema Sicherheit boomte, können wir jetzt von einem neuen Boom im Bereich Gesundheit und Medizin ausgehen. So tickt der Mensch!

 

Jede Änderung kann man nutzen. Marktforschungsagenturen berichten bereits über das veränderte Konsumverhalten der Chinesen nach dem COVID-19 Lock Down. So hat sich die Anzahl älterer Online Shopper (über 30) stark vergrößert, der Anteil an online getätigten Bestellungen frischer Lebensmittel hat sich verdoppelt und der eCommerce hat inzwischen auch die einkommensschwachen Schichten erreicht. Solche Veränderungen waren schon vor 17 Jahren nach der SARS-Epidemie zu beobachten. SARS war der wesentliche Treiber für die Entwicklung von eCommerce in China und das Wachstum von Alibaba. SARS hat Asien digitalisiert, eine Lehrübung, die wir in weiten Teilen noch vor uns haben. Die Corona-Pandemie startet zur Zeit eines der größten sozialen Experimente durch Beschleunigung der digitalen Transformation in Deutschland: Remote Work mit all seinen Implikationen wie Home-Office, verteilte Teams, digitales Lernen statt Schule, oder virtuelle Konferenzen und Messen.

Die Krise digitalisiert uns mit Gewalt!

Digitalisierung – das deutsche Wort für den Prozess der Durchdringung aller Lebensbereiche mit digitaler Technologie, elektronischen Netzwerken und neuen Formen der Zusammenarbeit – begleitet uns seit Jahren. Aber, Hand aufs Herz, wir haben die Digitalisierung bisher meistens blockiert, ausgebremst und kleingeredet. “Thinking digital was someone else´s job.” Die Krise erzwingt jetzt Digitalisierung in der Innenwelt der Unternehmen und im Angebot an die Kunden.

Social Distancing hat damit massive Auswirkungen auf die Führung von Unternehmen. Besonders relevante Themen sind:

  1. Die Krise sendet Mitarbeiter massenweise ins Home Office. Für die meisten ist Remote Work Neuland, jetzt muss es zu einer Selbstverständlichkeit werden.
  2. Es ist unklar, ob Mitarbeiter oder Firmen wieder in den Modus von 2019 zurückschalten dürfen oder wollen. Remote Work hat durchaus Kostenvorteile für die Unternehmen, wenn es richtig implementiert wird. Diese Frage wurde in der Vergangenheit lange nicht gestellt.
  3. Remote Work benötigt ein angepasstes Führungssystem, nur die wenigsten Führungskräfte sind i.d.R. für die “Führung auf Distanz” gerüstet. Klassische Führung basiert auf Kontakt und Kontrolle, virtuelle Führung auf Vertrauen und Eigenmotivation. Leistungseinbußen sind zu erwarten, denn die “Auflösung der Nähe” für die Teams ist ein erster Schritt zur virtuellen Organisation.
  4. Heutige IT-Organisationen sind für virtuelle Organisationen oft nicht geeignet. Ein Unternehmen hatte beispielsweise massive Probleme, als es nur ein paar tausend Verwaltungsangestellte ins Home-Office entsandte, was sich in mehreren Tagen Arbeitsausfall niederschlug. Das klassische Weltbild der IT-Organisation als „Trutzburg“, welche die unternehmerischen Assets schützt und die Infrastruktur für die Arbeit der internen Mitarbeiter stellt, hat ausgedient. Eine virtuelle Organisation benötigt eher eine Art biologisches Immunsystem zum Schutz der Assets und eine verteilte offene Infrastruktur, um Remote Worker und externe Partner zu verknüpfen. Sie darf keine herrschaftlich geschützte Black Box sein. Dies ist mit hierarchischen IT-Pyramiden unvereinbar. Trotz Trends wie Cloud Computing, des Internet of Things, des Industrial Internet of Things und Industrie 4.0 fehlt meist ein schlüssiges Gesamtkonzept.
  5. Auch die Prozess-IT in der Industrie ist nicht zeitgemäß. Prozess- und Business IT sind historisch oft organisatorisch getrennt, werden technisch unterschiedlich behandelt und haben in der Vergangenheit unterschiedliche Investitionen gesehen. Oft sind Business-Prozesse aus der Ferne bedienbar, für die Wartung einer Industrieanlage gilt das in Zeiten des IoT leider nicht. Dies bindet übermäßig Mitarbeiter und erscheint nach mehr als zehn Jahren der Industrie 4.0 Initiative für eine Industrienation mehr als seltsam.

Die Nachwirkungen werden auch die Natur des Geschäfts betreffen. Veränderungen an der Schnittstelle und bei der Leistung zum Kunden sind wahrscheinlich:

  • Wir schließen die Gebäude von Universitäten und Schulen und verlegen den Unterricht ins Internet. Lehrer lernen jetzt Internet-Teaching.
  • Digitale Bank-Dienstleistungen erhalten einen massiven Zulauf.
  • Gesundheitsanbieter fokussieren auf Tele-Medizin zur Ausweitung von Leistungen.
  • Einzelhandel und Gastronomie haben sehr begrenzte Chance auf Umsätze, wenn sie keine Online-Bestellungen mit Lieferservice anbieten. Der physische Einzelhandel muss schließen, eCommerce darf wachsen. Neben der Existenzbedrohung des Einzelhandels erzeugt dies massive Probleme in der Lieferung auf dem letzten Meter (Last-Mile-Logistik).

Spezifische Optionen und Möglichkeiten Ihres Unternehmens sind natürlich nur im Einzelfall sinnvoll zu beantworten.

 



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