Forget IT! Wertschöpfung mit modernen Informationsfabriken

Peter Jumpertz
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Wie kommt es, dass das Top Management in jedem Unternehmen mindestens zwei große IT-Projekte zitieren kann, die grandios gescheitert sind? Denselben Befragten fällt aber kaum ein größeres Missgeschick bei Bau oder Betrieb einer Produktionsanlage der Chemieindustrie oder einer anderen Branche aus der letzten Dekade ein.

Große IT-Projekte sind in vielen Punkten mit dem Bau oder Umbau integrierter Produktionsanlagen vergleichbar. Die Kernfrage lautet also: Wieso scheitern große IT-Projekte so oft?  Wieso scheitern andere große Vorhaben – zumindest im privatwirtschaftlichen Bereich – so viel seltener?

Haben Sie schon den Versuch unternommen, ein IT-Projekt wie ein großes Chemie-Anlagenprojekt zu betrachten? Versuchen Sie es, wenn Sie Ihre IT-Probleme in den Griff bekommen wollen!

Chemikalien werden in einem kontinuierlichen Prozess hergestellt, ähnlich wie relevante Geschäftsinformationen. Rohstoffe und andere Ingredienzen werden exakt bestimmten Umformungsbedingungen ausgesetzt, vermischt, getrennt, extrahiert etc. Wenn wir die Transformation von Daten zu Informationen in ihre Grundelemente zerlegen, dann wird deutlich, dass aus Daten als Rohstoff in einem der Chemie sehr ähnlichen Prozess wertvolle Informationen werden.

Es ist leicht nachvollziehbar, dass die Vielzahl der Komponenten und ihre Verknüpfung untereinander sowohl Planung als auch Bau und Betrieb einer chemischen Großanlage – gelinde gesagt – schwierig machen. Die Sache ist extrem komplex. Es muss sichergestellt sein, dass alle Kessel, Röhren und Leitungen korrekt konstruiert und verbunden sind, um das gewünschte Ergebnis zu erzielen. Das Verfahren, welchem die Chemikalien unterzogen werden sollen, muss perfekt in die Konstruktion der Anlage als solches übersetzt werden. Und darüber hinaus muss das Ganze auch ein ausreichendes Maß an Flexibilität erhalten, um Varianten und Weiterentwicklung der Prozedur kosteneffizient möglich zu machen.

Im Betrieb müssen alle kritischen Zustände korrekt erfasst und erkannt werden, um falsche Drücke, Temperaturen oder das Verderben von Zutaten zu vermeiden. Exakte Kontrolle des gesamten Prozesses ist kritisch. Denn Versagen kann in die Katastrophe führen.

Wie sieht es bei IT-Systemen aus? Nun, der Grad der Integration ist mindestens so hoch wie der einer chemischen Anlage. Die bloße Anzahl der Schnittstellen innerhalb der IT-Landschaft eines Unternehmens liegt wahrscheinlich zehn- bis hundertmal höher als die Zahl der Ventile, Messsonden, Röhren, Schläuche und Verbindungen in einer Chemieanlage. Die Anzahl an unterschiedlichen Daten, die gesammelt und verarbeitet werden, ist mit Sicherheit zehnmal höher als die Anzahl von Materialien, die eine Chemieanlage verarbeitet. Der Status des “Datenmaterials”, das verarbeitet wird, wird in aller Regel nicht erfasst, weil die Anzahl der Ergebnisse fast astronomische Größen annimmt. Wann immer eine neue Bestellung ankommt, eine Kundenanforderung erfasst wird, ein Teil produziert wird, ein Auftrag aktualisiert oder auch nur ein Datensatz gespeichert wird, ändert sich dieser Status. In der Chemie gibt es deutlich weniger Statusveränderungen und diese sind analog, nicht digital. Chemische Anlagen müssen im Wesentlichen auf Schwellenwerte, Minimal- und Maximalwerte, Trigger-Punkte etc. reagieren. Dies ist deutlich simpler als das Management großer Datenmengen.

Der Einfachheit halber und um rein akademische Diskussionen zu vermeiden wollen wir im Folgenden annehmen, dass die Komplexität von Chemieanlagen mit der von IT-Landschaften halbwegs vergleichbar ist. Fragen wir uns also nun, warum Chemieanlagen offensichtlich deutlich effektiver gehandhabt werden als IT-Fabriken! Und fragen wir uns auch, ob und wie erfolgreiche Konzepte für das Management von großen Fabrikanlagen auch auf die IT appliziert werden können!

Was sind die Kernunterschiede zwischen Chemieanlagen und IT-Anlagegütern? Wir glauben, dass sie in folgenden Punkten ihren Ursprung haben:

  • Fähigkeiten – Chemiker und Alchemisten gibt es seit vielen Jahrhunderten. CIOs sind eine relativ junge Spezies. Die Zunft und Wissenschaft der Informatik ist immer noch in der Entstehungsphase. Der Hauptgrund, warum Kausalitäten im Scheitern von IT-Projekten schwerer zu verstehen und schwieriger zu beweisen sind als in der Chemie ist einfach der Mangel an Erfahrung, anekdotischen Kenntnissen oder erfahrungsbasierter Einsicht!
  • Deterministisches Verhalten – ein guter Prozesstechniker ist auch ein guter Statistiker. Das Ergebnis eines chemischen Prozesses – ob Pharmazeutik oder Stahlerzeugung – ist lediglich mit statistischer Genauigkeit vorherzusagen. Für die IT erwartet das Top Management dagegen immer „korrekte Zahlen“ – denn da steckt ja „nur Mathematik dahinter“. Das mag für Buchhaltungs- und Abrechnungssysteme noch gelten. Aber dieses Paradigma lässt sich nicht ohne weiteres auf Anwendungsgebiete übertragen, die eine Fehlerkultur erfordern – CRM, Online-Vertriebskanäle, CAD etc. erfordern statische Verfahren, die das Fach-Management oft nur lückenhaft beherrscht. Daraus entsteht leicht der Eindruck, die IT bekäme das Problem nicht in den Griff.
  • Verantwortung – eine explodierte Chemiefabrik wird einige Top-Manager ihre Jobs kosten. Im schlimmsten Fall müssen sie mit Gefängnisstrafen rechnen. In der IT ist immer der CIO-Bereich schuld. Und weil das so ist, bleibt kaum eine vernünftige Möglichkeit der Verteidigung.
  • Greifbarkeit – man kann in einer Chemieanlage umherlaufen, sich Dinge aus der Nähe anschauen, berühren, riechen, hören und schmecken. Nicht so in der IT. Man kann nur die Ergebnisse sehen, aber weder die Fabrik, die Maschinen, noch die Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe. Information ist virtuell. Es erfordert eine Menge Vorstellungskraft, abstraktes Denkvermögen, Energie, Geduld und Zeit um sich durch eine Applikationslandschaft oder eine Systemarchitektur hindurch zu arbeiten. Wer hat dazu die Kraft, wenn die Zeit knapp ist und ein Mangel an Verständnis meist Peinlichkeiten in den Meetings auslöst?
  • Vorhersehbarkeit – In einer Chemieanlage sind Katastrophen vorhersehbar. In einer IT-Landschaft nicht. Ingenieure in Chemieanlagen haben über mehr als ein Jahrhundert auf die harte Tour gelernt, wie Komplexität beherrscht werden kann. Ihr Zaubertrank enthält Redundanz, Alternativen und – am wichtigsten – Brandschutzmauern. Der Mehraufwand aus diesen Ansätzen des Risiko-Managements wird für physische Fabriken akzeptiert, aber für IT-Systeme nicht.

Der letzte Punkt ist wahrscheinlich die größte Herausforderung für die effektive Handhabung von Informations-Fabriken. Die Kosten einer IT-Architektur, die mit der Komplexität zukünftiger IT-Anforderungen umgehen kann, sind signifikant. Sie können leicht zwischen 30 und 45 % der gesamten Hardwarekosten liegen. Aus Sicht des Top-Managements scheint es daher klüger, nach dem Motto “Augen zu und durch” zu verfahren und das Beste zu hoffen – so lange man den CIO-Bereich als Sündenbock hat und niemand dabei zu Tode kommt.

Aber auch die mangelnde Greifbarkeit stellt ein sehr kniffliges Problem dar. Man ist leicht versucht zu glauben, dass IT agiler ist als eine Chemieanlage. Ein Software Code kann schneller und billiger umgeschrieben werden als eine Chemieanlage abgebrochen und wieder neu aufgebaut werden kann. Aber ist das wirklich so? Ja – allerdings nur dann, wenn man in eine lose gekoppelte IT-Architektur investiert hat. Nur in diesem Fall ist Agilität die Rettung. In stark verschachtelten Legacy-Systemen dagegen ist der kostengünstige Neubau einzelner Module unmöglich. Stattdessen sind dort „stranded assets“ die Norm.

Was aber könnte die Rettung aus dieser Zwickmühle darstellen? Es sieht so aus, als ob jede Lösung ein teures, langwieriges und anstrengendes Unterfangen ist. Die schlechte Nachricht: Leider ist das tatsächlich der Fall. Dieser Tatsache müssen wir uns stellen! Es existiert keine schnelle Lösung und kein leichter Ausweg – genauso wie in der Chemie.

Die gute Nachricht: Es gibt einen klaren, geraden Weg vorwärts, der eine nachhaltige Verbesserung bei gleichzeitiger Sicherung der Arbeitsfähigkeit des Unternehmens erreicht.

Dieser Weg erfordert sieben Formen der Veränderung beim Umgang mit IT-Fabriken wie auch in der in der Unternehmensrealität.

  1. Denken Sie daran: Daten sind das neue Erdöl! IT ist weder eine Unterstützungsfunktion noch ein Infrastrukturbaustein. IT ist eine Produktionsanlage, die direkt Wert schöpft. Der Wert der IT-Fabrik steckt überall in den Aktivitäten entlang Ihrer Wertschöpfungskette. Deshalb müssen Sie Ihren Explorations-, Förder- und Produktionsanlagen hohe Aufmerksamkeit zukommen lassen. Betrachten Sie also Ihre IT-Fabrik wie eine Ihrer Produktionsstätten.
  2. Setzen Sie Ihren Chief Information Officer in den Gesamtvorstand – und zwar auf Augenhöhe mit dem COO oder Produktionsvorstand. Gleiches Gehalt, gleiche Anreize, gleiche Airtime etc.
  3. Fordern Sie von Ihrem CIO einen dreidimensionalen, IT-gestützten Plan Ihrer IT-Produktionsanlagen, den Sie wirklich verstehen können auch ohne selbst Informatiker zu sein. Veranlassen Sie den CIO, die gleichen oder ähnliche Werkzeuge zu nutzen, wie sie für Planung und Betrieb der Hardware-Fabriken genutzt werden. Lassen Sie sich nichts vormachen! IT-Anlagen werden nach denselben technischen Grundprinzipien konstruiert wie andere Fabriken, wenn man der Sache auf den Grund geht. Sie werden erstaunt sein, wie gut das funktioniert – und Geld spart man auch noch dabei.
  4. Diskutieren Sie größere Veränderungen in der IT so, wie sie große Veränderungen in den Produktionsanlagen diskutieren. Betrachten Sie operative Daten wie Rohöl, das aus dem Bohrloch sprudelt. Wie kann man es veredeln und umwandeln? Welche Produkte wollen Sie daraus formen? Wie sieht der Produktentwicklungsprozess dafür aus? Wie oft und wie gründlich gestehen Sie Ihren Datenprodukt-Entwicklern Fehler oder gar vollständiges Scheitern zu? Denken Sie an die verlorenen Jobs, die geschlossenen Fabriken, die hart getroffenen Standorte Ihres Unternehmens, wenn das Projekt scheitert. Wenn Ihnen keine solchen Konsequenzen in den Sinn kommen, investieren Sie KEINEN Cent in das vorgeschlagene Projekt. Denn dann schöpft es auch keinen nennenswerten Wert.
  5. Gewöhnen Sie sich so schnell wie möglich an die Idee, auf jeden IT-CAPEX Plan 40 % Kosten aufzuschlagen als Prämie für die Absicherung gegen Komplexitätsrisiken. Denn diese Risiken sind real und benötigen Komponenten wie virtuelle Vorratstanks, parallel Produktionsvarianten, Überdruckventile und Brandschutzmauern.
  6. Vor allem löschen Sie die Idee aus Ihrer Vorstellung, dass IT auch ohne solche Maßnahmen agil und leicht anpassbar ist! Sie ist es nicht und wird es auch nie sein. Einfach, weil die IT die Komplexität der Realität abbilden muss. Gerade in einer Welt, die stündlich komplexer wird, ist es der Zweck der IT, komplex zu sein! Sehen Sie es einfach so: Einfache IT ist nutzlos!
  7. Wenn Sie sich entschieden haben für diesen Paradigmenwechsel, verändern Sie die Bezeichnungen in Ihrem Unternehmen und senden Sie ein klares Signal. IT wird zur IF. Der Job des CIO ist nicht das Management von Informationen, sondern einer Fabrik. Chief Information Factory Officer ist also die korrekte Bezeichnung.

Wenn Sie Erfolg haben wollen, müssen Sie alle sieben Änderungen gleichermaßen verfolgen. Es kann schmerzhaft sein, der Realität ins Auge zu sehen. Aber in der Welt des Data Value Mining ist es tödlich, sie zu ignorieren.

 



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